Radexpedition in den Anden

Ruth und Horst Hammerschmidt berichten in einer dreiteiligen Serie über ihr Radabenteuer in den Anden. Der erste Teil erschien im Onlineportal Kettenrad am 22. Juli. Der zweite Teil berichtet über die Strecke von Tinogasta bis San Pedro de Atacama.

Ein Nachtlager mit fantastischem Panorama.

Nachdem wir uns in Tinogasta bei zirka 40 Grad Hitze drei Tage "ausgeruht" hatten, waren wir wieder bereit für neue Herausforderungen. Um die 120 km Strecke auf der Hauptstrasse zu umgehen, entschieden wir uns für die alte Ruta 40, welche über die Cuesta de Zapata, abgelegen von jeglicher Zivilisation, führt. Anfang Februar 2013 hatte ein Unwetter die Sand- und Schotterstrecke für vierrädrige Fahrzeuge für immer unpassierbar gemacht. Stellenweise war nur noch für uns knapp Platz zum Durchkommen. Viel Erd- und Steinmaterial wurde weggespült. Sicher ein Dutzend Mal mussten wir unsere schweren Räder über Geröllhalden tragen und nicht weniger oft durch tiefsandige Flussbetten stossen. Mit Hilfe hätten wir in Not dort wohl nicht rechnen können. Über 10 Stunden waren wir unterwegs und legten "nur" 65 km zurück, bis wir endlich in Londres ankamen. Belen, wo wir schon 2007 auf unserer Nord-Süd-Durchquerung Amerikas (siehe www.velotraum.ch) halt machten, war Versorgungs- und Ausgangspunkt unserer zweiten Andenüberquerung. Nach der ersten Etappe erreichten wir Villa Vil. In der Nacht wurden wir von unzähligen Mücken im Schlafraum gequält. Nach 1 1/2 stündiger Jagd auf die Biester gaben wir uns erschöpft geschlagen. Das war aber nicht die einzige Überraschung in dieser Unterkunft. Der Duschhahn liess sich nur mit unserer Kombizange auf- und zudrehen, der Türgriff zum Bad fiel ab, als wir ihn berührten und die WC-Spülung lief die ganze Nacht, weil die Schwimmertechnik des Spülkastens nicht funktionierte. Von diesen Dingen liessen wir uns nicht aus der Ruhe bringen. Kreativität im Umgang mit solchen Gegebenheiten war gefragt und spiegelte uns, in welcher Selbstverständlichkeit wir mit dem Wohlstand in unserer Heimat leben. Tage später erreichten wir Antofagasta de la Sierra, umgeben von der grössten Dichte an Vulkanen der Erde, welche allerdings schon lange nicht mehr aktiv sind. Des öfteren wurden wir von Vicuñas-Herden beäugt und mussten einmal sogar wegen ihrer "Strassensperre" anhalten.

Ein dehydrierter Tramper

Ab Antofagasta war dann für eine ganze Weile nichts mit Lebensmittelversorgung und auch der Trinkwassernachschub gestaltete sich äusserst schwierig. Darauf waren wir vorbereitet und wollten uns nicht auf die Hilfe Fremder verlassen. Die 4-tägige Strecke von Antofagasta de la Sierra nach Pocitos war extrem einsam. In Pocitos leben ca. 75 Einwohner. Unterwegs dorthin malten wir uns in Gedanken aus, dass es in Pocitos endlich wieder eine Duschmöglichkeit und einen Lebensmittelladen geben würde. Diese Illusion begruben wir schnell, als wir uns dem Dorf näherten. Wir trafen auf einen staubigen, kleinen Wüstenort. Ein Lebensmittelladen oder irgendwelche Versorgungsmöglichkeiten waren auf den ersten Blick nicht zu sehen. Lediglich ein Coca-Cola-Schild an einer Lehmhütte lockte uns an, einen genaueren Blick zu nehmen. Dort gibt es sicher etwas, dachten wir. Als wir durch das Fenster in den Raum schauten, stand darin nur ein Regal mit wenig Brauchbarem. Zahlreiche grosse Coca-Cola-Flaschen waren nicht zu übersehen, Essen gab es nichts zu kaufen. Wir hatten trotzdem Glück. In einem kleinen, von aussen nicht erkennbaren Lokal, wurden Suppe, Pommes und Schnitzel angeboten. Welch ein Luxus in dieser hintersten hochandinen Wüstengegend von Nordwest-Argentinien auf über 3'000 m! Statt im Zelt konnten wir auf Einladung des örtlichen Sanitäters in Feldbetten mit durchhängenden, löchrigen Matratzen schlafen. Vor der Weiterfahrt Richtung Chile sollten wir nochmals mit Glück beschert werden. Im Dorf fuhr ein alter klappriger LKW vor, der zweimal im Monat die wenigen Einwohner mit Lebensmittel versorgt. Das Sortiment war recht gut. Wir füllten unsere Taschen und luden zusammen 20 Liter Wasser auf unsere Drahtesel. Das musste für 2 Tage in sehr trockener Höhenluft ausreichen. In einem Tag wollten wir es bis zur argentinischen Zollstelle schaffen. Das klappte knapp trotz brutaler Wellblechpiste und Gegenwind. 3 km vor der Zollstelle kam uns ein junger Mann auf der Piste entgegen. Der Tramper hatte nicht damit gerechnet, dass die Strecke so verkehrsarm ist. Als wir bei ihm ankamen, sass er dehydriert am Boden, bat uns um Wasser und wir sollten Hilfe beim Zoll holen. Er war ca. 15 km in der Sonne ohne Sonnenschutz unterwegs, nachdem ihn ein Minenarbeiter an einer Abzweigung abgesetzt hatte. Danach kam kein Fahrzeug mehr. Wir gaben ihm eine volle Wasserflasche und schafften es, im inzwischen eisigen Gegenwind nach Sonnenuntergang die letzten 3 km bis zur Grenzstelle zu fahren. Nach Ruths bestimmtem Einreden auf den Zöllner organisierte dieser widerwillig die Rettung des Trampers, welchen er uns gegenüber als Idioten bezeichnete. Später assen wir zusammen mit Pablo, dem Tramper, in einer abgewrackten ausgedienten Unterkunft der Zollstelle Spaghetti. Wasser kam dort auch nur tröpfchenweise aus dem Hahn. Am nächsten Tag kämpften wir uns über den Paso Sico und durch traumhafte andine Gebirgslandschaften nach Chile hinein. Die Zöllner liessen uns nicht bei der Zollstelle zelten. Sie schickten uns noch 7 km weiter, grösstenteils steil berghoch bis nach El Laco zur Eisenmine, wo 2 Männer schichtweise die Behausungen der stillgelegten Mine "beaufsichtigten". So sah es für uns zumindest aus. Als wir die Container-Siedlung ziemlich entkräftet erreichten, wurden wir von den beiden Männern herzlich willkommen geheissen. Sie führten uns gleich in die Küche, um uns mit heissem Tee/Kaffee, Crackers und Streichwurst, Suppe und frisch gebackenen Empanadas aufzupäppeln. Später stellten sie uns ein Doppelzimmer zur Verfügung. Auf den Betten lagen je 3 dicke schwere Wolldecken. Die Nächte waren kalt auf 4'200 m Höhe. Es gab auch dort kaum Wasser und die sanitären Anlagen stanken ätzend. Nach dem herzlichen Abschied in El Laco am nächsten Morgen fuhren wir wieder zwei Tage durch eine einsame Gegend und staunten über die mächtigen weissen Gipfel der hohen Anden-Vulkanberge, die farbigen Salzlagunen, wo sich rosa Flamingos und Vicuñasherden aufhielten. Nach 8 Tagen ohne Dusche ab Antofagasta de la Sierra erreichten wir die erste chilenische Siedlung Socaire. Nach üppigem Lunch im einfachen Touristen-Restaurant rollten wir mit ständigem Blick auf den Salar de Atacama auf nun wieder geteertem Untergrund nach Toconao, der letzten Station vor San Pedro de Atacama. Die Zivilisation hatte uns wieder. Der touristische Overkill im Wüstenmecca San Pedro war ein Kulturschock nach 2 Wochen gelebter Einsamkeit. Dass wir es nach über 2'000 km bis zu diesem Ort ohne Probleme geschafft hatten, war nur dank seriöser Planung möglich.

Längere Berichte von unserer Radexpedition sowie weitere Fotos können auf velotraum-ch.blogspot.ch nachgelesen bzw. -geschaut werden. Bei Interesse an einem Bildervortrag sowie Informationen, bitte schreiben an: hammerschmidt@mail.com

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